Dieser Artikel ist so lapidar geschrieben, dass sich jedem Avionik Ingenieur die Zähnägel hochrollen.
Es ist kein Mythos sondern technisch absolut begündet.
Dafür muss ich in diesem komplexen Umfeld etwas weiter ausholen.
Jedes Passagierflugzeug und seine Komponenten werden nach bestimmten technischen Regularien entworfen und gebaut. Das sind im wesentlichen die DO-160 und CS-25. Je nach System kommen hunderte von zusätzlichen Bestimmungen hinzu.
Um die Sicherheit des Flugzeuges und seiner Insassen zu gewährleisten, werden die Konsequenzen eines Ausfalls oder Störung jedes einzelnen Systems bewertet und eingestuft (von Minor bis Catastrophic, wobei letztes für den Totalverlust des Fluggeräts steht) - für jede dieser Klassifizierungen existieren genaue Vorgaben wie hoch die Ausfallwahrscheinlichkeit sein darf (bei Catastrophic z.B. 10^-9).
Kann ein Einzelsystem diese Vorgabe nicht einhalten wird mit Redundanzen gearbeitet, deshalb ist der Flight Management Computer z.B. 3x vorhanden.
Zusätzlich wird im Rahmen des Safety Assessments für jedes System eine Common Cause Analys durchgeführt, um auszuschließen dass einzelne Ereignisse alle der Redundanten Systeme gleichzeitig außer Kraft setzen können. (Wenn z.B. alle redundanten Geräte direkt nebeneinander wären, könnte ein Feuer an diesem Ort alle auf einmal ausschalten - die Konsequenz wäre die Geräte über das gesamte Flugzeug zu verteilen)
Das gesamte Flugzeug mit seinen tausenden Systemen ist also nur ein fliegender Haufen aus Metall und Kompositmaterialien, der durch eine unendlich scheinende Zahl aus Wahrscheinlichkeiten in der Luft gehalten wird. (Manchmal auch "Magic" genannt
Soweit verstanden? Gut!
Als sich im vergangenen Jahrtausend Mobiltelefone verbreitet haben, war dies der Alptraum aller Flugzeugingenieure und Zulassungsbehörden.
Ein kleiner Sender mit starker Sendeleistung, dass in das Innere eines der komplexesten Gerätschaften die die Menschheit entwickelt hat eingebracht wird. Ganz dicht an die vielen Sicherheitsrelevanten elektrischen Kisten, die auf ihren Prozessoren und Bus-Leitungen auch ähnliche Frequenzen haben!
Die Redundanzen sind gefährdet, da ein Sender das Potential hat alle Geräte gleichermaßen zu stören.
Zusätzlich besteht die Gefahr, dass eines dieser fiesen Minisender durch einen Defekt auf ganz anderern Frequenzen als vom Hersteller vorgesehen sendet (sogenannte out-of-band transmissions).
Die Gefahr wurde erkannt und die Flugsicherheitsbehörden wie FAA oder der FAR (Vorläufer der EASA) haben die Benutzung sofort für den gesamten Flug untersagt.
Als dann die ersten Störungen auf dem VHF Funkverkehr, verursacht durch nicht abgeschaltete Mobiltelefone, aufgetreten sind, musste reagiert werden.
Es wurde damit begonnen die tausenden Systeme auf mögliche Störungen zu überprüfen und für den Betrieb im Bereich von Mobilfunksendern zu zertifizieren. Das Stichwort lautet HIRF Tolerant (
High Intensity Radiated Fields).
Die Behörden und Gremien haben neue Anforderungen definiert.
D.h. die Hersteller mussten nun ihre Geräte mit geänderten Anforderungen nachtesten.
Viele Hersteller haben diesen zeitaufwändigen und teuren Prozess nur für neue Produkte eingeführt, auch Flugzeughersteller haben ältere Flugzeugmuster ersteinmal außen vor gelassen.
So hat es mehrere Jahrzehnte gedauert, bis die ein großteil der Flugzeugmuster HIRF Zertifiziert gewesen ist und auch jetzt fliegen noch etlich non-HIRF Flieger.
Diese Parallelen haben dazu geführt, dass verschiedene Airlines unterschiedliche Bestimmungen zm Betrieb von PED (personal electronic devices) haben, je nachdem wie ihre Flotte zerfiziert ist.
TLDR;
Aus technischer Sicht ist die Wahrscheinlichkeit einer Störung der Flugrelevaten Systemen bei HIRF zertifizierten Fliegern ausreichend gering (im Sinne der EASA/FAA vorgaben CAT s.h. oben), um den den Betrieb von PED inkl. Mobilfunk zuzulassen.
Einziges Problem: out-of-band Transmissions können den Funkverkehr stören.
Bei bis zu 400 potentiellen Sendern im hohen MHz Bereich in der Kabine, die nicht nach technischen Vorgaben für Luftfahrzeuge konstruiert wurden, ist die Wahscheinlichkeit einer ungewollten Transmission = 1 anzusehen.
Um diese Gefahr zu mitigieren, hilft man sich mit einem Kniff.
Im Safetey Assessment (nach SAE ARP4761) wird die Klassifizierung der Konsequenzen für jede einzelne Fluphase bewertet.
Im Falle der VHF Kommunikation ist eine Störung nur den Phasen Start und Landung mindestens als "Hazardous" anzusehen (man Stelle sich vor die Fluglotsen wollen eine Crew vor einer unmittelbaren Kollision warnen), hier kommt es evtl. auf Sekunden an.
Um den hohen Sicherheitsstandard eines Flugzeugs zu gewährleisten, ist es daher nicht nur eine "erzieherische Maßnahme", dass die Passagiere bei Start und Landung ihre Mobilfunkgeräte abschalten, sondern zwingend erforderlich.
Resumee
"Ja aber....die Wahrscheinlichkeit, dass die Ereignisse gleichzeitig eintreten ist doch so gering...." - mag der ein oder andere unbelehrbare Passagier denken.
Nach mathematischer Betrachtung aber nicht gering genug!
Nur aufgrund dieser strengen Regeln ist ein Flugzeug so sicher, wie es heutzutage ist.
Mit diesem Thema haben sich Heerschaaren an Ingenieren sehr lange beschäftigt und teilweise ihr gesamtes Berufsleben gewidmet. Die meisten vermutlich klüger als wir.
Wir wollen nicht anfangen die Sicherheit zu minimieren, indem wir Ebenen aus dem
Schweizer-Käse-Modell entfernen die mit Bedacht eingeführt wurden.
Es existieren viele Dokumente zum diesem Thema. FAA, EASA, EUROCAE, IATA, IEEE, SAE, ICAO...alle haben sich Gedanken dazu gemacht und entsprechende Dokumente veröffentlicht.
Als Einstieg für den geneigten Leser empfehle ich das AMC 20-158A, das als Grundlage zur Zulassung für HIRF tolerante Systeme dient.
"Es geht immer solange gut, bis es einmal schief geht" - in diesem Sinne
900 MHz ist immer noch eine gängige Frequenz, die von den meisten Mobiltelefonen Weltweit unterstützt wird.
Das ist aber nicht relevant für die Bestimmungen der Fluglinien. s.o.